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Der Brief wurde an Tage ihrer Beisetzung am 20.10.2005 durch unseren Freund Prof. Peter Meinhardt vorgetragen.

 

 

Wir schreiben das Jahr 1967.

 

Ich studierte Nachrichtentechnik in Berlin und machte Praktikum bei Osram.

 

Im Werk wurden das ganze Jahr durch elektrische Weihnachtskerzen hergestellt.

 

Meine Aufgabe bestand darin, bereits gereinigte Glaszylinder mit einem Überzug zu versehen, damit sie wie Wachskerzen aussahen.

 

Es war ein heißer Sommertag. Es war kurz nach 7 Uhr morgens. Ich saß auf meinem Arbeitsplatz und wartete auf die Glaszylinder.

 

Ein wunderschönes, zierliches, blutjunges Mädchen schleppte dann eine Kiste voll davon heran.

Sie war mir von Anfang an dadurch aufgefallen, dass sie fast immer zu spät kam und wenige Sekunden vor 7 Uhr ihre Karte stempelte.

 

Wie heißt sie - was macht sie hier? Wie kann ich sie ansprechen?

 

Die Kiste war die Chance.

 

Ich rannte zu ihr und versuchte, sie ihr abzunehmen. Für Sekunden berührten sich unsere Hände an den Griffen der Kiste. Ich war wie elektrisiert.

 

Sie fragte: „Sprechen Sie deutsch?“

„Ja ein wenig.“ antwortete ich, - dies wohl mit einer perfekten Aussprache.

„Sie flunkern“, sagte sie .und schaute mich dabei mit ihren unsagbar schönen, großen, strahlenden, blauen Augen etwas irritiert an und fragte „Oh Verzeihung, wissen Sie was  flunkern  heißt?“.

 

„So etwas wie eine liebevolle Lüge.“ erwiderte ich.

 

Das Eis war gebrochen. Ich hatte es wohl geschafft. Wir hielten beide immer noch ohne Worte gemeinsam die Kiste und brachten sie zu meinem Arbeitsplatz. Darunter stand mein großer Aktenkoffer.

 

„Was haben Sie in dieser Riesentasche. Falls Sie Student sind, - es sind doch Semesterferien.“

 

„Ich bin zwar Student, aber darin habe ich die Literatur, die ich gerne lese, z.B. den PROZESS von Kafka“

 

„Und was noch“, fragte sie - und ließ mich wissen, dass sie gerade ihr Abitur gemacht hatte und an der FU Berlin Jura studieren möchte. Sie war gerade 18 geworden.

 

Ich wittere meine zweite Chance und fragte sie, ob wir uns nach der Arbeit über meine Bücher unterhalten könnten.

 

„Ja“ sagte sie. –

Dieses „Ja“ hat 38 Jahre lang unser beider Leben bestimmt.

 

Nach diesem Tag kamen und gingen wir gemeinsam.

Im Werk wurde über das exotische Pärchen getuschelt.

 

Sie hatte ihren Eltern nichts von mir erzählt. So wurde sie an Wochenenden von einer Freundin von zuhause abgeholt –

und gleich um die Ecke von mir in Empfang genommen.

 

Lange ging das gut. -Bis wir im Pak von ihren Eltern gesehen wurden.

Ich wurde zum Kaffee eingeladen. Man wollte mich kennen lernen.

 

Ich saß brav auf dem Sofa, ohne zu ahnen, dass ein Hund im Hause war.

Er kam ins Zimmer, bellte mich nicht an und sprang zu mir auf den Schoß.

Ein Hund auf dem Schoß eines Persers! Undenkbar! Ich fiel in eine gewisse Körperstarre, beugte meinen Kopf nach unten, schloss meine Augen und streichelte ihn einmal über den Rücken, - das erste Mal in meinem Leben überhaupt. Damit hatte ich wohl sehr hoch gepunktet und mir die Sympathie der Eltern gesichert.

 

Danach durfte ich sonntags so lange bleiben, bis die Eltern schlafen gingen. Ich wünschte ihnen laut durch die Schlafzimmertür eine gute Nacht, Jutta knallte ebenso laut die Wohnungstür zu, um kundzutun, dass ich gerade gegangen sei, während ich in ihr Zimmer verschwand.

 

In den frühen Morgenstunden sprang ich dann von ihrem Zimmerfenster aus auf die Straße.

Schon das Öffnen ihrer Zimmertür hätte nämlich den Hund auf den Plan gerufen.

 

An einem Sonntag lud ich die Eltern zum Essen ein, um ihnen mitzuteilen, dass wir uns verlobt hätten. Im Rahmen meiner studentischen Möglichkeiten gab es 4 halbe Brathähnchen.

Es war genau heute vor 37 Jahren, am 20.10.1968.

 

Meine Jutta wurde am 18. Juni 1947 in West Berlin geboren. Sie war das Nesthäkchen ihrer 3 Halbgeschwister Norbert, Peter und Heidi, die ihr Vater in die Ehe mitgebracht hatte. Die 4 Kinder wurden von meiner Schwiegermutter mit viel Liebe und Aufopferung groß gezogen.

 

1972 beendete ich mein Studium in Berlin und bekam eine Stelle hier an der Universität Hannover.

Jutta wollte bis zu ihrem 1. Staatsexamen noch 2 Jahre in Berlin bleiben.

 

Das hält nicht lange! “,  hieß es von allen Seiten. Da kannten sie aber Jutta nicht. - Die Westdeutschen, die in Berlin studierten, bekamen damals verbilligte Flüge nach Hannover. Sie fand eine Studentin, die gegen etwas Aufpreis Jutta ihr Flugticket überließ und so war sie jedes Wochenende in Hannover.

 

In den siebziger Jahren waren wir 2 Mal im Iran. Sie wurde dort von meiner Familie auf Händen getragen. Sie schmolzen immer alle dahin, als sie anfing persisch zu sprechen. Vor allem, wenn sie sagte: Gòl gofti. Wörtlich übersetzt heißt das, „Du hast Blume gesagt“, sinngemäß jedoch „Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen.“.

 

Wir heirateten am 28. Juni 1974 in Berlin, feierten auch in Hannover und in Teheran.

 

Nach ihrem ersten Staatsexamen kam sie nach Hannover, machte hier ihr zweites Staatsexamen und begann als Richterin am Amtsgericht Hannover.

 

Der glücklichste Tag unseres Lebens war der 5. September 1982, als unser Sohn Maurice geboren wurde. Ihre starke Bindung zu ihm bestimmte fortan ihr und unser ganzes Leben. Mit ihrer unglaublichen Kraft und Ausdauer verkörperte sie ihre un eingeschränkte Liebe zu Maurice.

 

In der 11. Klasse ging Maurice nach England. Mit der dortigen Schule mache er eine 5-wöchige Expedition nach China und Tibet. Während dieser ganzen Zeit stand ein großer Atlas bei uns auf dem Esstisch. Sie verfolgte jeden Tag anhand des Expeditionsplans die Route und malte sich aus, was Maurice wohl gerade dort erleben würde.

 

In all den Jahren besuchte sie regelmäßig ihre Eltern in Berlin und lud sie nach Hannover ein. Ihr Vater starb 1984. Sie hat sich danach aufopfernd um ihre heute 85järige Mutter gekümmert.

Maurice und ich werden in ihrem Sinne stets für die Omi da sein.

 

Jutta erkrankte Ende 2004. Sie hatte sich fest vorgenommen, am 9. Juni 2005 wieder zu arbeiten. Um ihre Mutter zu besuchen, fuhr sie Ende Mai nach Berlin. Sie wollte dort in einem Häuschen bei Berlin einige Tage ausspannen. Wir telefonierten mehrmals am Tag.

 

Am 31. Mai nahm sie nicht mehr ab, obwohl ihr Handy eingeschaltet war. Niemand hatte sie danach erreichen können, was sehr ungewöhnlich war.

 

Von Hannover aus bat ich am 1.Juni gegen 22 Uhr die Polizei in Berlin um Hilfe. Man fand sie in dem Häuschen wenige Meter von ihrem Handy entfernt hilflos auf dem Fußboden, wo sie mehr als 24 Stunden gelegen haben muss. Sie wurde in die Charité gebracht. Maurice und ich fuhren noch in der Nacht nach Berlin.

 

Jutta hatte einen Hirninfarkt erlitten. Sie war rechtsseitig gelähmt an den Rollstuhl gebunden und hatte fast kein Gedächtnis und keine Sprache mehr.

 

Wir brachten sie zur Reha-Klinik nach Hessisch Oldendorf bei Hameln. Mit ihrer unglaublichen Geduld, Willenskraft und Ausdauer konnte sie am Ende wieder gehen und normal sprechen.

 

Omi hatte sich zeitweise im Ort in einer Privatwohnung eingemietet, um ihr nah zu sein. Wir waren jeden Tag in der Klinik.

 

Für sie war das Schönste, wenn Maurice ihr zur Begrüßung und zum Abschied die Hand küsste.

 

Ich musste ihr beim Abschied immer versprechen, vorsichtig nach Hause zu fahren. Sie rief manchmal nachts an, um weinend zu berichten, dass sie ihre rechte Hand bewegen könne.

 

Meine Brüder Ali,  Mohammad,  Madjid,  meine Schwägerinnen Soraya, Petra und Shabnam und ihr Bruder Norbert mit Inge; die Kinder Denis, Kathleen, Aresh; Elham mit ihrem Mann Ali; ihre Freundinnen und Freunde, meine Kolleginnen und Kollegen riefen an, besuchten sie und schrieben ihr so oft, wie sie konnten.

 

Wenn mein Bruder Mohammad bei ihr war, gehörte es zum Pflichtprogramm, dass er ihr die Haare frisierte.

 

 

Unser Augenschein, unser Lebensmittelpunkt, unser strahlender Stern,  –––- Maurice‘s über Alles vom ihm geliebte Mami, –– Omis kleines Mädchen, ––- mein Herz, mein Licht, meine große Liebe,- meine Jutta ist am 9. Oktober gegen 4 Uhr morgens sanft eingeschlafen.

 

Mein kleiner Schatz, ich verspreche Dir, dass ich mich, so wie Du es getan hättest, um unseren Sohn und deine Mama kümmern werde. Ich werde die beiden keine Sekunde aus den Augen lassen und alle werden mir dabei helfen. So wie sie es bisher getan haben.

 

Dein neues Zuhause wird meine ewige Pilgerstätte sein.

 

Ich werde dich jeden Tag besuchen.

 

Ich werde dir deine Post vorlesen,

 

Ich werde dir von unserem Sohn und von der Omi berichten,

sollten sie nicht mit dabei sein.

 

Ich werde dir von deiner Katze Nanouch berichten, was sie wieder angestellt hat.

 

Ich verspreche Dir, dass ich mein Zimmer aufräumen werde.

 

Ich werde dich um deinen Rat fragen, wenn ich nicht weiter weiß.

 

Du wirst in unserem Kind und in mir weiter leben

und immer bei uns und mit uns sein.

 

Wir sind unsagbar traurig, dass du nicht mehr da bist.

 

Wir sind unendlich glücklich, dass wir dich hatten.

 

Dein Bärchen Maurice,

Deine Mama,

unsere Verwandten und Freunde,

Dein Hassan -

 

 – danken allen, die uns so stark beistehen, unseren Schmerz teilen und mit ihrem Erscheinen Dir kundtun, dass sie alle für uns da sind, wenn wir sie brauchen.

 

Adieu mein Schatz, bis morgen.